Die Bearbeitung von Asylanträgen «outsourcen» – das galt in Europa lange als moralisch verwerflich. Derzeit scheint sich dieses Konzept jedoch immer mehr durchzusetzen. Bald könnten auch die Aufnahme und der Schutz von Geflüchteten an Drittländer ausgelagert werden. In der Schweiz werden Stimmen zur «lästigen Problematik» der abgelehnten Asylsuchenden laut. Sie sprechen sich dafür aus, diese Menschen in ein Land zu schicken, zu dem sie keinen Bezug haben. Der Ständerat hat eine Motion gutgeheissen, welche die Erprobung eines Systems zur Überführung abgewiesener eritreischer Asylsuchender in ein Drittland vorsieht, in diesem Fall Rwanda. Eines der reichsten Länder der Welt bezahlt also ein anderes Land dafür, sich um Angelegenheiten zu kümmern, mit denen es sich lieber nicht herumschlagen will.
Bei der Externalisierung des Asyls werden Antragsteller auf Distanz gehalten. Man verweigert ihnen die Einreise in das Land, dessen Schutz sie beantragen, oder überträgt die Entscheidungsmacht über ihren Antrag gar vollständig an einen Drittstaat. Die USA und Australien sind Beispiele für Staaten, die mit Nachbarländern (Jamaica, den Turks- und Caicosinseln, dem Inselstaat Nauru und Papua-Neuguinea) Abkommen geschlossen haben, wonach diese gegen eine finanzielle Entschädigung Asylsuchende für die Dauer der Prüfung ihres Falles aufnehmen.
Betroffene harren derweil in extraterritorialen Lagern aus, die häufig eher Haftanstalten gleichen. Die Lebensbedingungen sind hart, mit teilweise schweren Auswirkungen auf die körperliche und psychische Gesundheit der dort festgehaltenen Menschen. 2018 verzeichnete Ärzte ohne Grenzen in Nauru unter den Asylsuchenden eine alarmierende Zahl von Selbstmordversuchen und selbstverletzenden Handlungen, insbesondere bei Kindern. Ihr Zustand verschlechterte sich während des Aufenthalts zunehmend, bis einige nicht mehr in der Lage waren zu essen, zu trinken oder auf die Toilette zu gehen.
Auch in Europa entwickeln verschiedene Länder Strategien, um ihre Aufnahmeverpflichtungen zu umgehen, die in der Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Protokoll von 1967 geregelt sind. So haben Dänemark und Grossbritannien in den Jahren 2021 bzw. 2022 Gesetze verabschiedet, die nicht nur die Abschiebung von Asylsuchenden aus der EU vorsehen, sondern auch die Prüfung ihres Antrags einem Drittland übertragen. Selbst im Fall eines positiven Bescheids sehen diese Abkommen vor, dass Antragsteller im Drittland verbleiben. Auch dann, wenn für die Menschen keinerlei Verbindung zum Aufnahmeland besteht.
In der Schweiz konzentriert sich die Debatte auf die Einrichtung von Transitzentren an der Grenze. Eine Motion im Nationalrat, wonach die Einreise nur bei einem positiven Asylentscheid gestattet sein soll, wurde zwar abgelehnt – das Thema wird aber zurückkehren. Ob Extraterritorialisierung oder Outsourcing – bei beiden Ansätzen werden das Leben und die Zukunft Tausender Menschen bewusst in der Schwebe gehalten. Zudem können die finanziellen und politischen Gegenleistungen, die Drittländern gewährt werden, Korruption fördern und politische Erpressung ermöglichen. In Migrationsfragen stehen Souveränitäts- und Sicherheitsinteressen auf dem Spiel, angesichts deren es naiv wäre, alles durch die Brille einer bedingungslosen Solidarität zu betrachten. Der Kommerzialisierung des Exils wie auch einer auf Abschreckung und Entwürdigung ausgelegten Migrationspolitik ist aber konsequent entgegenzuwirken.
Dieser Artikel wurde ursprünglich am 28. August 2023 in der NZZ veröffentlicht. Er erschien auch auf Französisch in Le Temps.